Über Stock und Stein - der Jakobsmuschel hinterher!
Seit meiner Querschnittslähmung im Halswirbelbereich ist mein Elektrorollstuhl mein täglicher Begleiter. Dank persönlicher Assistenz kann ich mein Leben selbstbestimmt gestalten. 2015 begann meine Leidenschaft für Rollstuhl-Touren, als ich vom Bodensee nach Berlin fuhr. Inspiriert von einer sehbehinderten Pilgerin, die ihre Erfahrungen auf dem Caminho Portugués in einer Facebook-Gruppe teilte, fasste ich den Entschluss: Ich will auf dem Jakobsweg pilgern – mit meinem Elektrorollstuhl und meiner Assistenz auf dem Fahrrad.
Planung und Vorbereitung
Als Rollstuhlfahrer beginnt das Abenteuer bereits mit der Organisation. Die Reichweite der Akkus, die Topografie der Strecke und die Verfügbarkeit barrierefreier Unterkünfte entscheiden darüber, ob so eine Reise überhaupt möglich ist. Ich plante die 260 Kilometer lange Strecke in neun Etappen, recherchierte Unterkünfte mit Hilfe von Booking.com und nutzte gezielt die Filteroptionen für Barrierefreiheit. Ein vorab gebuchter Gepäcklieferservice war unverzichtbar – besonders wegen meines Duschrollstuhls. Auch ein Fahrrad für meine Assistenz ließ sich problemlos organisieren, da es entlang des Jakobswegs spezialisierte Anbieter für Mieträder gibt.
Start in Porto
Von Memmingen flogen wir nach Porto. Das Boarding mit Bordrollstuhl und Unterstützung des Flughafenpersonals klappte reibungslos. In Porto verbrachten wir zwei Tage und holten unsere Pilgerpässe ab – die Voraussetzung für die Compostela-Urkunde. Unsere Reise begann an der Atlantikküste, wo wir entlang der Dünenlandschaft auf gut ausgebauten Holzstegen nach Vila do Conde rollten. Die salzige Meeresluft, das Kreischen der Möwen und das Rauschen der Wellen schufen eine magische Atmosphäre.
Herausforderungen und Hilfsbereitschaft
Nicht alle Abschnitte waren barrierefrei. Auf dem Weg nach Esposende versperrten uns drei Stufen die Weiterfahrt. Umkehren war wegen der Akkuleistung keine Option – doch wie so oft auf dieser Reise half der Zufall: Eine Gruppe Surfer hob meinen 220 kg schweren Rollstuhl kurzerhand über das Hindernis. Ähnliche Unterstützung erfuhren wir bei Regen, technischen Problemen oder fehlender Barrierefreiheit. Besonders beeindruckend war die Fahrt über die Eiffelbrücke in Viana do Castelo, wo es trotz Regenwetter gelang, die Etappe mit viel Durchhaltevermögen zu meistern. Als es an einem Tag besonders stark regnete, entschieden wir uns spontan für eine Zugfahrt – ohne Voranmeldung, aber mit hilfreichem Personal, das den Einstieg ermöglichte.
Durch Portugal und Spanien
Der Weg führte uns durch kleine, historische Orte wie Caminha, wo der Rio Miño Portugal von Spanien trennt. In Valença bewunderten wir die mittelalterliche Festungsanlage, ehe wir den Grenzfluss überquerten und nach Vigo gelangten. Dort wartete die größte körperliche Herausforderung: eine lange Steigung, die mehr Akkuleistung forderte als erwartet. Wir pausierten zur Ladung, doch letztlich war der Akku leer. Ein freundliches Café-Team organisierte kurzerhand ein Rollstuhltaxi.
In Pontevedra traf mein neuer Assistent ein, und die Reise ging weiter nach Padrón. Da der dortige Bahnhof nicht barrierefrei war, musste ich auf die Unterstützung der Mitreisenden vertrauen – und wurde nicht enttäuscht. Gemeinsam mit dem Schaffner und weiteren Passagieren wurde ich sicher aus dem Zug gehoben.
Ziel: Santiago de Compostela
Die letzten 26 Kilometer rollten wir bei bestem Wetter durch galizische Dörfer, vorbei an den typischen Hórreos – auf Steinsockeln errichtete Kornspeicher, die wie kleine Mausoleen wirken. Die Ruhe und Ursprünglichkeit der Landschaft machten diesen Abschnitt besonders eindrucksvoll. Nach zehn Tagen und 260 Kilometern erreichten wir Santiago de Compostela. Vor dem Pilgerbüro wartete eine lange Schlange – doch ich durfte als Rollstuhlfahrer direkt zum Schalter und hielt wenig später glücklich meine Compostela-Urkunde in den Händen.